Die globale Sumud-Flottille – ein beispielloser internationaler Konvoi, der darauf abzielt, Israels 17-jährige Blockade des Gazastreifens zu durchbrechen – ist nun weniger als 400 Seemeilen von ihrem Ziel entfernt. Unter mehreren nationalen Flaggen segelnd, transportiert sie Passagiere aus über vierzig Ländern: Palästinenser wie die Europaabgeordnete Rima Hassan, Mitglieder des Europäischen Parlaments wie Annalisa Corrado, Benedetta Scuderi, Emma Fourreau und Lynn Boylan, die ehemalige Bürgermeisterin von Barcelona Ada Colau, die Klimaaktivistin Greta Thunberg, mehrere amtierende und ehemalige Politiker sowie sogar US-Veteranen. Unter ihnen befindet sich der ehemalige libysche Premierminister Omar al-Hassi, an Bord des libyschen Schiffes Omar al-Mukhtar. Seine Teilnahme macht ihn zum ranghöchsten anwesenden Amtsträger und signalisiert, dass diese Mission kein Randgestus, sondern ein ernsthafter politischer Akt ist.
Die Flottille wird von NATO-Marineschiffen aus Griechenland, Spanien, Italien und der Türkei eskortiert. Italien und Spanien haben Schiffe für schützende Rettungspositionen zugesagt, während Griechenland einen sicheren Durchgang in seinen Gewässern garantiert und Israel über griechische Staatsangehörige an Bord informiert hat. Der Konvoi sah sich bereits in der Nähe von Kreta Drohnenbelästigungen ausgesetzt, bei denen Betäubungs- und Reizmittel gegen unbewaffnete Boote eingesetzt wurden. Trotz dieser Risiken setzt die Flottille ihre Fahrt fort – und testet nicht nur Israels Blockade, sondern auch die Glaubwürdigkeit des Völkerrechts.
Für Palästinenser ist die Flottille ein Lebensretter. Mit über 64.000 Getöteten seit Oktober 2023 und einem Gazastreifen, der gezielten Hungersnotbedingungen ausgesetzt ist, werden die mitgebrachten Lebensmittel, Medikamente und Vorräte dringend benötigt. Doch es ist auch eine politische Herausforderung. Durch die Zusammenführung von Gesetzgebern, Bürgermeistern, einem ehemaligen Premierminister und weltweit anerkannten Aktivisten besteht die Flottille darauf, dass die Blockade des Gazastreifens nicht nur eine humanitäre Krise, sondern ein Test des Rechts selbst ist.
Frühere Reisen – die Mavi Marmara, Madleen und Handala – zeigten sowohl die Brutalität von Israels Durchsetzung als auch die verletzten rechtlichen Rahmenbedingungen. Ihre Lehren prägen nun, wie die Welt die Reise der Sumud betrachten muss.
Am 31. Mai 2010 stürmten israelische Kommandos die Mavi Marmara, ein türkisches Schiff, das die erste Gaza-Freiheitsflottille anführte. Das Entern fand in internationalen Gewässern statt und führte zur Tötung von 10 Zivilisten und der Verletzung von Dutzenden weiteren.
Rechtliche Analyse
Die Mavi Marmara setzte den Präzedenzfall, dass Israel zivile Schiffe in internationalen Gewässern mit tödlicher Gewalt angreifen und Konsequenzen vermeiden konnte.
Am 9. Juni 2025 segelte die Madleen, ein unter britischer Flagge fahrendes humanitäres Schiff, 160 Seemeilen vor Gaza, als es von israelischen Streitkräften abgefangen wurde. Zu den Passagieren gehörten Greta Thunberg und die Europaabgeordnete Rima Hassan. Die Besatzung berichtete von elektronischer Störung, Reizspray, erzwungenem Entern und Inhaftierung.
Rechtliche Analyse
Die Madleen zeigte Israels Bereitschaft, Piraterie und Geiselnahme gegen prominente Zivilisten am helllichten Tag zu begehen.
Am 26. Juli 2025 wurde die Handala, die Aktivisten und Hilfe aus mehr als einem Dutzend Ländern transportierte, 40 Seemeilen vor Gaza abgefangen. Israel enterte das Schiff, beschlagnahmte es, nahm die Besatzung fest und konfiszierte die Hilfe.
Rechtliche Analyse
Die Handala zeigte, dass die Durchsetzung der Blockade kein Verteidigungsmaßnahme, sondern ein offensiver Terrorakt gegen humanitäre Bemühungen war.
Diese Präzedenzfälle – Mavi Marmara, Madleen, Handala – offenbaren ein Muster rechtswidriger Gewalt. Die Sumud-Flottille wird jedoch von NATO-Eskorten begleitet.
Berichten zufolge verbieten stehende Befehle den Eskorten, das Feuer zu eröffnen oder Vergeltung zu üben. Doch sie sind auch angewiesen, die Flottille zu schützen. In der Praxis bedeutet dies, eine schützende Haltung einzunehmen – Kriegsschiffe zwischen israelische Angreifer und zivile Boote zu positionieren.
Wenn Israel das Feuer eröffnet, werden stehende Befehle zur Zurückhaltung automatisch aufgehoben. Ein Marinekommandant hat sowohl das Recht als auch die Pflicht, Schiff und Besatzung zu verteidigen. Diese Pflicht basiert auf:
Der Präzedenzfall der USS Vincennes unterstreicht die Stärke dieser Doktrin. Im Juli 1988 schoss das Schiff irrtümlich Iran Air Flug 655 ab und tötete 290 Zivilisten, nachdem es fälschlicherweise als feindliches Flugzeug identifiziert wurde. Der Kommandant wurde nicht bestraft. Die Begründung war einfach: Die inhärente Pflicht eines Kapitäns, sein Schiff und seine Besatzung zu verteidigen, steht über allem, auch wenn dies tragisch falsch ist. Angewendet hier: Wenn israelisches Feuer eine NATO-Eskorte trifft, sind Kommandanten rechtlich verpflichtet, sich selbst zu verteidigen.
Nach Abwehr eines ersten Angriffs müssen Kapitäne ihre Hauptquartiere benachrichtigen, die dem UN-Sicherheitsrat gemäß Artikel 51 Bericht erstatten. Staaten können dann NATO-Artikel 5 aufrufen, was eine konzertierte Beratung über kollektive Verteidigung auslöst.
Im Kern des Streits liegt der Status des maritimen Raums von Gaza. Israel selbst beansprucht Gaza nicht als souveränes Territorium. 2005 zog es seine Siedler und ständigen Bodentruppen zurück und verwaltet Gaza nicht wie israelische Küstengebiete. Nach der Logik des Völkerrechts macht dieser fehlende Anspruch das angrenzende Meer zu palästinensischen Gewässern.
Nach der UN-Seerechtskonvention (UNCLOS) hat eine Küstenentität Anspruch auf ein 12-Seemeilen-Territorialmeer und eine 200-Seemeilen-Exklusive Wirtschaftszone (EEZ), abhängig von der Geographie. Gaza, als Teil des von über 140 UN-Mitgliedstaaten anerkannten besetzten palästinensischen Gebiets, hat somit einen rechtlichen Anspruch auf maritime Zonen. Innerhalb des Territorialmeers sollte palästinensische Souveränität gelten; darüber hinaus gewährt die EEZ exklusive Rechte an Ressourcen, während die Hohe See darüber hinaus von der Freiheit der Schifffahrt regiert wird.
Israels Durchsetzungsmaßnahmen finden daher in Gewässern statt, die entweder:
Durch die Beschlagnahmung von Schiffen in diesen Zonen verletzt Israel das grundlegende Prinzip der Freiheit der Meere.
Israel rechtfertigt seine Handlungen durch Berufung auf das Blockaderecht nach dem San Remo Manual on International Law Applicable to Armed Conflicts at Sea (1994). Doch die San-Remo-Regeln widersprechen Israels Position in mehrfacher Hinsicht:
Israel hat diese Standards nicht erfüllt. Die Madleen transportierte Aktivisten und humanitäre Güter, einschließlich Babynahrung und medizinischer Hilfe. Die Handala transportierte Lebensmittel und Medikamente für eine Bevölkerung, die bereits unter Hungersnot leidet. Zu keinem Zeitpunkt legte Israel überprüfbare Beweise vor, dass eines der Schiffe eine Sicherheitsbedrohung darstellte. Sofern man Babynahrung nicht absurd als Waffe betrachtet, waren Israels Durchsetzungsmaßnahmen offensichtlich rechtswidrig.
Durch das Versäumnis, eine gültige militärische Notwendigkeit nachzuweisen, kann Israels Blockade nach San Remo nicht als rechtmäßig angesehen werden. Und da die Blockade in der Praxis Hungersnot, Entbehrung und unterschiedsloses Leiden hervorruft, stellt sie kollektive Bestrafung dar, die nach der Vierten Genfer Konvention verboten ist und in mehreren UN-Berichten verurteilt wurde.
Aus der Perspektive des internationalen Seerechts:
Ein israelischer Angriff auf NATO-Kriegsschiffe würde den schwersten Test in der Geschichte des Bündnisses darstellen. Artikel 5 erklärt einen Angriff auf ein Mitglied zu einem Angriff auf alle.
Aber Enthaltung ist nicht dasselbe wie Parteinahme für Israel. Die NATO erlaubt differenzierte Beiträge: Mitglieder können die Form ihrer Reaktion wählen, aber sie können nicht leugnen, dass ein bewaffneter Angriff stattgefunden hat. Sich gänzlich zu weigern zu handeln – oder schlimmer noch, offen für Israel gegen Bündnispartner Partei zu ergreifen – würde die Glaubwürdigkeit der NATO zerstören.
Solche Uneinigkeit würde Gegner ermutigen. Russland würde den Präzedenzfall nutzen, um die Entschlossenheit der NATO in Osteuropa zu testen. China würde die Spaltung als Beweis dafür sehen, dass westliche Bündnisse keine kollektive Verteidigung gegen politisch sensible Aggressoren durchsetzen können. Die Kohäsion, die Krieg in Europa und Asien abschreckt, würde geschwächt werden.
Kurz gesagt: Wenn die NATO es versäumt, ihre Mitglieder gegen israelische Aggression zu verteidigen, untergräbt sie ihre eigene Abschreckung gegen Moskau und Peking.
Für Israel birgt eine Eskalation das Risiko einer katastrophalen Isolation. Der Angriff auf Schiffe, die einen ehemaligen Premierminister, aktuelle Gesetzgeber und weltweit bekannte Aktivisten transportieren, würde Behauptungen der Selbstverteidigung zunichtemachen. Es würde die Blockade als kollektive Bestrafung entlarven.
Für die Flottille ist ein Abfangen an sich ein Erfolg: Es dokumentiert Israels Rechtswidrigkeit, mobilisiert weltweite Empörung und verstärkt palästinensisches Sumud – Standhaftigkeit. Mit hochrangigen Politikern und prominenten Persönlichkeiten an Bord hallt Aggression weltweit wider.
Die globale Sumud-Flottille ist mehr als nur die Lieferung von Hilfe. Sie ist ein Test, ob das Völkerrecht durchgesetzt wird, wenn Palästinenser die Opfer sind.
Die Kette der Eskalation ist vorhersehbar: schützende Haltung, Angriff, unmittelbare Selbstverteidigung nach UNCLOS, Gewohnheitsrecht und Artikel 51, Berichterstattung an den UN-Sicherheitsrat, mögliche Berufung auf NATO-Artikel 5.
Unvorhersehbar ist, ob die NATO und die internationale Gemeinschaft ihre Gesetze aufrechterhalten oder ob erneut Straffreiheit frei segeln wird. Für die Palästinenser an Bord und in Gaza ist dies keine Theorie – es ist eine Frage von Leben und Tod.