Von der Nakba zur „Abrissphase“: Profit, Enteignung und die politische Ökonomie von Gaza
Die Enteignung der Palästinenser ist keine episodische Reaktion auf einen Sicherheitsvorfall. Es handelt sich um ein langfristiges koloniales Projekt, das von Ideologie, administrativer Struktur und wirtschaftlichen Anreizen geprägt ist. Oktober 2023 bot eine taktische Gelegenheit – einen Vorwand –, dieses Projekt zu beschleunigen. Die derzeit kursierende Rhetorik und Pläne (Siedlermobilisierung, Organisation der Likud-Partei, ministerielle Erklärungen und Vorschläge von US-Investoren) sind am besten als eine operative Umsetzung jahrhundertealter Enteignungsziele auf moderne kapitalistische Anreize zu verstehen. Wie Karl Marx in Das Kapital bemerkte, wird Kapital kühn, wenn das Profitpotenzial hoch genug ist – sogar bereit, Recht und Moral zu riskieren, um Renditen zu erzielen. Das aktuelle Gaza-Programm kombiniert massive Gewalt mit einem marktorientierten Drehbuch, gerade weil die erwarteten Renditen (Küstenimmobilien, Technologiezentren und Offshore-Gas) enorm sind.
Grundlegende Absicht: Enteignung von Anfang an (1930er–1948)
Der Plan, die Palästinenser zu enteignen, ist kein nachträglicher Einfall; er ist in den ideologischen und politischen Grundlagen des Siedlerprojekts verankert. Zeitgenössische Archivdokumente von führenden Akteuren machen die beabsichtigte Logik deutlich: Land freimachen, Rückkehr verhindern und Eigentum an die Siedlerbevölkerung übertragen. Die Nakba (die katastrophale Enteignung von 1948) war die erste massive Umsetzung dieser Logik.
„Wir müssen die Araber vertreiben und ihre Plätze einnehmen… wenn wir Gewalt anwenden müssen… steht uns Gewalt zur Verfügung. Die zwangsweise Übertragung der [Palästinenser]… könnte uns etwas geben, das wir nie hatten.“
- David Ben-Gurion, 5. Oktober 1937, Brief an seinen Sohn
„Es gibt keinen Platz für beide Völker… Nicht ein Dorf, nicht ein Stamm sollte übrig bleiben. Die Araber müssen gehen, aber man braucht einen günstigen Moment, wie einen Krieg.“
- Yosef Weitz, 20. Dezember 1940, Direktor der Landabteilung des Jüdischen Nationalfonds
„Wir müssen sie [palästinensische Dörfer] auslöschen.“
- David Ben-Gurion, 1948, öffentliche Rede während der Nakba
Diese historischen Aussagen – explizite Aufrufe zur Vertreibung, zur Nutzung des Krieges als „günstiger Moment“, zur Auslöschung von Dörfern – begründen einen kausalen Ursprung: Enteignung war bei der Staatsgründung beabsichtigt und nicht nur ein zufälliges Ergebnis kriegsbedingter Notwendigkeiten.
2. Institutionalisierung: Besatzung, Siedlungen und rechtliche Struktur (1967–2000er)
Nach 1967 wurde die Enteignung institutionalisiert:
- Rechtliche und administrative Maßnahmen etablierten Landaneignung, Siedlungsbau und demografische Gestaltung.
- Planung und Infrastruktur – Straßen, Umgehungen, Siedlungsblöcke – machten palästinensische Souveränität und territoriale Kontinuität zunehmend unwahrscheinlicher.
- Ressourcenkontrolle – Wasser, Land und Energie – wurde zu einem Instrument der Ausgrenzung, nicht nur der Verwaltung.
Diese Phase wandelte ideologische Absicht in dauerhafte Strukturen um: Gesetze, Bürokratien und gebaute Umgebungen, die Siedlerpermanenz und wirtschaftliche Extraktion begünstigten.
Wirtschaftliche Strangulierung: Gaza-Blockade und Ressourcenverweigerung (2007–2023)
Die Blockade und strikte Entwicklungsbeschränkungen in Gaza hatten eine doppelte Wirkung: Sie wurden als Sicherheitsmaßnahmen präsentiert, froren jedoch funktional die Wirtschaft Gazas ein und verhinderten die Entwicklung von Infrastruktur und Ressourcen (insbesondere Gaza Marine). Das 2000 entdeckte Offshore-Gasfeld – geschätzt auf etwa 1 Tcf – war ein potenzielles souveränes Gut für die Palästinenser; stattdessen blieb es ungenutzt und wurde zu einem latenten Preis.
Diese bewusste Unterentwicklung hatte zwei kausal relevante Auswirkungen:
- Sie hielt die Bevölkerung wirtschaftlich verwundbar, was Vertreibung erleichterte.
- Sie bewahrte die Ressourcen und die Küstenlinie als ungenutzte Vermögenswerte, die für zukünftige Investoren attraktiv wurden, sobald die politischen Bedingungen dies erlaubten.
Oktober 2023: Taktische Gelegenheit, kein Ursprung
Oktober 2023 lieferte einen weithin sichtbaren Vorwand: eine Sicherheitskrise, die genutzt werden konnte, um massive militärische Aktionen, Massenvertreibung und außergewöhnliche Zerstörung zu rechtfertigen. Der entscheidende kausale Punkt ist jedoch, dass der Plan, Gaza unbewohnbar zu machen, schon lange konzipiert war; was sich änderte, war die politische und operative Möglichkeit, ihn in großem Maßstab umzusetzen.
Die Abfolge ist kausal und vorhersehbar:
- Langjährige Absicht und institutionelle Werkzeuge → strukturelle Kapazität für Massenoperationen;
- Ein auslösendes Ereignis (Krieg) → politische Deckung für Eskalation;
- Massive Zerstörung → Bedingungen der Unbewohnbarkeit und Vertreibung;
- Öffentliche und private Planung für Wiederaufbau → Monetisierungsphase.
Von Zerstörung zu Wiederaufbau: Öffentliche Erklärungen als Beweis der Absicht
Der Übergang von Gewalt zur Marktorientierung wurde von politischen Akteuren und kommerziellen Vorstellungen offen signalisiert. Diese Aussagen sind nicht marginal; sie stellen eine öffentliche Kartierung des Profitmotivs auf die Enteignung dar.
Wichtige öffentliche Äußerungen umfassen:
- Likud-Flyer (Oktober 2024): „Vorbereitung auf Siedlungen in Gaza … Gaza gehört uns. Für immer!“ – ein parteiweiter Mobilisierungsslogan, der eine Regierungspartei mit der Siedlungsexpansion in Gaza in Einklang bringt.
- Itamar Ben-Gvir (Oktober 2024): „Wir sind die Eigentümer des Landes“ – direkte Eigentumsrhetorik, die die Übertragung legitimiert.
- Bezalel Smotrich (17. September 2025): Gaza ist ein „Immobiliensegen“, mit Verhandlungen über „wie wir die Landanteile aufteilen werden“. Dies rahmt Abriss als Vorläufer der Aufteilung von Beute ein.
- US-Vorschläge und -Erklärungen (2024–2025): Von Jared Kushners Kommentaren zur „sehr wertvollen“ Küste über veröffentlichte Ideen für einen „internationalen Immobilientreuhänder“ bis hin zu Präsident Trumps Vorschlag im Februar 2025, die USA sollten „Gaza übernehmen“, umfasst die Diskussion nun internationales Kapital und privatisierte Treuhandschaften. Pläne für KI-„Smart Cities“ und eine Tesla-ähnliche Gigafactory vervollständigen die Investoren-Narrativ.
Diese Aussagen sind rechtlich und kausal bedeutsam: Sie dokumentieren die Absicht, benennen die Begünstigten und reduzieren die Operation von einem ad-hoc-Kriegsakt zu einer bewusst geplanten wirtschaftlichen Umwandlung.
Marx’ Beobachtung und das Verhalten des Kapitals
Das Kapital flieht vor Tumult und Streit und ist von scheuer Natur. Das ist ganz wahr, aber nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Horror vor der Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor einem Vakuum. Mit entsprechendem Profit wird das Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall einsetzen; zwanzig Prozent, es wird lebendig; fünfzig Prozent, positiv waghalsig; bei hundert Prozent tritt es alle menschlichen Gesetze unter seine Füße; bei dreihundert Prozent gibt es kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es beides fördern. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel.
- Karl Marx, Das Kapital, 1867
Marx’ oben zitierte Beobachtung erklärt, warum solche Projekte zu erwarten sind, wenn der Profit immens ist. Kapital ist risikosensibel: geringe Renditen erzeugen Vorsicht; hohe Renditen erzeugen Kühnheit. Marx’ Eskalationsleiter – 10 %, 20 %, 50 %, 100 %, 300 % – ist eine Methode, um zu verstehen, wie wachsende Profiterwartungen rechtliche und ethische Beschränkungen untergraben können. Wenn ein Investor enorme Einnahmen aus Küstenentwicklung, Technologiezentren und monopolisierter Gasförderung vorhersehen kann, verschiebt sich die moralische Kalkulation: rechtliche Verbote werden als Transaktionskosten betrachtet, die zu bewältigen sind, nicht als absolute Barrieren.
Hier angewendet:
- Die Gaza-Küste plus ein „Smart City“-Premium plus ein strategisches Gasfeld schaffen einen enormen Profitvektor.
- Dieser Vektor liefert das Motiv für politische Akteure, Zerstörung in eine Investitionsmöglichkeit umzuwandeln.
- Wo politische und rechtliche Straflosigkeit existieren, wird die Marxsche Tendenz des Kapitals, „Tumult und Streit“ zu fördern, wenn es profitabel ist, zu einem praktischen Treiber der Politik, nicht nur zu einem analytischen Aphorismus.
Finanzielle Mechanismen: Warum Investoren interessiert wären
Der öffentlich diskutierte Investorenfall passt präzise auf die klassische Kapitalkalkulation:
- Knappheitsprämie: Mediterrane Küstenfront ist in der Region selten – Knappheit steigert den Wert pro Quadratmeter.
- Tech/KI-Cluster-Bewertungen: „Smart City“- und Technologiezentren-Branding kann Landwerte exponentiell steigern und souveräne sowie private Geldgeber anziehen.
- Industrieller Anker: Eine Gigafactory oder ein EV/Batteriewerk schafft industrielle Nachfrage, Lieferketten und wirtschaftliche Multiplikatoren, die den Wert der Vermögenswerte weiter steigern.
- Energieerträge: Gasexporteinnahmen und strategischer Einfluss auf regionale Energiemärkte fügen einen sofortigen Einnahmestrom hinzu.
Diese kombinierten Renditen können außergewöhnliches Risiko, einschließlich rechtlicher Risiken, rationalisieren, wenn politische Deckung und Finanzierung gesichert sind – genau das Terrain, vor dem Marx warnte.
Rechtliche Konsequenzen: Verbrechen, Verpflichtungen und Mittäterschaft
Die Verfolgung der kausalen Kette von historischer Absicht zu gegenwärtigen Plänen ergibt eine Reihe von rechtlichen Verboten und affirmativen Pflichten:
Verbotene Handlungen und internationale Verbrechen
- Zwangsweise Übertragung → Kriegsverbrechen und potenziell ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
- Siedlerübertragung / Annexion → Verstoß gegen Artikel 49(6) der Vierten Genfer Konvention und Gewohnheitsrecht.
- Plünderung / Ausbeutung von Ressourcen → Kriegsverbrechen und unrechtmäßige Aneignung.
- Genozidale Handlungen oder Absicht → unter der Genozidkonvention und dem Römischen Statut; die vorläufigen Maßnahmen des IGH (Januar 2024) stellten ein plausibles Risiko für Genozid fest; nachfolgende COI-Berichte und NGO-Bewertungen haben den Begriff explizit verwendet.
Pflichten Dritter Staaten und Mittäterschaft
- Pflicht zur Verhinderung (Genozidkonvention): Sobald ein Staat von einem ernsten Risiko weiß, muss er Maßnahmen ergreifen, um Genozid zu verhindern; Untätigkeit oder materielle Unterstützung riskiert Mittäterschaft.
- Nichtanerkennung und Nichtunterstützung (Beratende Richtlinien des IGH): Staaten dürfen illegale Situationen, die aus schweren Verstößen gegen zwingende Normen resultieren, nicht anerkennen oder unterstützen.
- Unternehmens- und finanzielle Haftung: Geldgeber und Auftragnehmer sind ernsthaften reputations-, regulierungs- und potenziellen rechtlichen Risiken unter nationalen und internationalen Rahmenbedingungen ausgesetzt, wenn sie Verstöße unterstützen.
Beweiskraft öffentlicher Pläne
- Öffentliche Reden, Flyer, politische Memos und Planungsdokumente wandeln rhetorische Absicht in dokumentarische Beweise um – hochrelevant in gerichtlichen oder quasi-gerichtlichen Verfahren (IStGH, IGH, nationale Gerichte).
Kausalitätszusammenfassung: Wie die Vergangenheit die Gegenwart ermöglichte
- Absicht (Nakba-Ära) schuf eine ideologische und politische Flugbahn für die Enteignung.
- Institutionalisierung (nach 1967) baute den administrativen und physischen Apparat, um die Enteignung dauerhaft zu machen.
- Wirtschaftliche Strangulierung (Blockade) bewahrte ungenutzte Vermögenswerte (Gas, Küste), während die Gesellschaft geschwächt wurde.
- Auslöser (Oktober 2023) bot den öffentlichen Vorwand und die operative Deckung für massenhafte Zerstörung.
- Öffentliche Marktorientierung (2024–2025) verwandelte die Nachwirkungen in ein Investoren-Drehbuch, das Kapital mit Enteignung in Einklang brachte.
Diese kausale Kette zeigt keine zufällige Grausamkeit, sondern ein bewusstes politisch-ökonomisches Programm.
Schlussfolgerung: Die Entscheidung vor der internationalen Gemeinschaft
Der Fall ist nun in drei Registern klar:
- Historisch: Die Enteignung hat tiefe Wurzeln und wurde wiederholt von Eliten artikuliert.
- Politisch-ökonomisch: Der Antrieb, Gazas Küste und Gas zu monetisieren, schafft das Motiv für gewaltsame Räumung.
- Rechtlich: Die betroffenen Handlungen und Pläne sind verboten; Staaten haben die Pflicht, zu verhindern, zu untersuchen, zu bestrafen und Mittäterschaft zu unterbinden.
Marx’ Einsicht, dass Kapital „Tumult und Streit“ fördert, wenn es außergewöhnlichen Profit erwartet, ist hier nicht metaphorisch – es ist eine Warnung vor Anreizen. Wo finanzielle Renditen massiv und die rechtliche Durchsetzung schwach sind, werden Märkte versuchen, von Gewalt zu profitieren. Das Gegenmittel ist einfach, wenn auch politisch schwierig: Internationales Recht durchsetzen, die Finanzierung und Versicherung blockieren, die dieses Projekt ermöglichen würden, strafrechtliche Verantwortlichkeit verfolgen und die Pflicht der Genozidkonvention zur Verhinderung wahren.
Referenzen
- Ben-Gurion, David. Brief an seinen Sohn, 5. Oktober 1937.
- Weitz, Yosef. Tagebuch, 20. Dezember 1940, Jüdischer Nationalfonds.
- Ben-Gurion, David. Rede während der Nakba, 1948.
- Likud-Partei-Flyer, „Vorbereitung auf Siedlungen in Gaza“, Oktober 2024.
- Bezalel Smotrich, Finanzminister, Erklärung auf der Immobilienkonferenz in Tel Aviv, 17. September 2025.
- Itamar Ben-Gvir, Erklärung auf der Konferenz „Siedeln in Gaza“, Oktober 2024.
- Daniella Weiss, Bemerkungen der Siedlergruppe Nahala, 2024–25.
- Donald Trump, Pressekonferenz mit Netanyahu, 4. Februar 2025; Fox News Interview, 10. Februar 2025.
- Jared Kushner, Harvard-Veranstaltung, Februar 2024; Wiederaufleben in Medien, Februar 2025.
- US-israelische Gemeinschaftspläne, Washington Post-Bericht, 31. August 2025; Dokument der Trump-Administration, 1. September 2025.
- Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermordes, 1948.
- Vierte Genfer Konvention, 1949.
- Charta der Vereinten Nationen, 1945.
- Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, 1998.
- IGH, Rechtliche Konsequenzen des Baus einer Mauer im besetzten palästinensischen Gebiet, Beratendes Gutachten, 2004.
- IGH, Anwendung der Genozidkonvention (Bosnien gegen Serbien), Urteil, 2007.
- IGH, Anwendung der Genozidkonvention (Südafrika gegen Israel), Vorläufige Maßnahmen, Januar 2024.